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Dschungel von Calais vor Räumung

Frankreichs Präsident Hollande will die Zustände rund um das Flüchtlingslager nicht länger dulden.

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© Reuters

Von Birgit Holzer, SZ-Korrespondentin in Paris

Improvisierte Zelt- und Matratzenlager, in denen Tausende Flüchtlinge auf engem Raum und ohne ausreichende sanitäre Einrichtungen leben: Diese Situation belastet Calais nun schon seit Jahren. Denn die meisten Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten auf dem Weg nach Großbritannien wählen eine Route über die nordfranzösische Küstenstadt. Und kommen dort oft nicht mehr weiter: Verschärfte Sicherheitsmaßnahmen am Hafen und am Eurotunnel erschweren zunehmend die Überreise, während immer neue Flüchtlinge ankommen.

Ihre Zahl wird inzwischen auf bis zu 10 000 geschätzt, darunter 1 000 Minderjährige. Doch mit dem „Dschungel von Calais“, wie das wilde Lager genannt wird, soll bald Schluss sein, versprach Staatspräsident François Hollande am Montag vor Ort. „Wir müssen das Lager komplett und definitiv auflösen“, sagte er am Rande von Treffen mit Polizei- und Sicherheitskräften, Lokalpolitikern, Vertretern der Wirtschaft und von Hilfsorganisationen. Diese hatten im Vorfeld an ihn appelliert, aus einer „Verwaltungs-Logik auszubrechen“ und einen humanen Umgang mit Menschen in Not zu pflegen. Ein Besuch des Präsidenten im „Dschungel“ selbst war nicht vorgesehen.

Dort ist die Lage angespannt. In der vergangenen Woche kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und der Polizei. Es ging um den Beginn von Bauarbeiten an einer Mauer, die an der Schnellstraße zum Hafen entstehen soll. Jede Nacht versuchen dort Dutzende Menschen, auf Lastwagen aufzuspringen, die den Ärmelkanal überqueren. Manche werden dabei von Fahrzeugen erfasst. Einen Kilometer lang und vier Meter hoch wird die Mauer, deren Bau die Regierung in London mit umgerechnet 2,7 Millionen Euro finanziert. Beide Länder wollen so illegale Flüchtlinge von ihrem Vorhaben abhalten.

Auch unter den Flüchtlingen brechen immer wieder Konflikte aus. Es fehlt am Nötigsten, obwohl die Regierung zu Jahresbeginn ein Aufnahmezentrum mit Waschmöglichkeiten, Unterkünften für 400 Frauen und Kinder sowie 1 500 Männer-Schlafplätze in Containern errichten ließ. Ausreichend war dies nicht.

Nun sieht sie vor, bis Jahresende 9 000 Plätze in 164 „Aufnahme- und Orientierungszentren“ im ganzen Land zu schaffen. Dort sollen die Menschen, die überwiegend aus dem Sudan, Eritrea und Afghanistan stammen, individuell beraten und gegebenenfalls zu einem Asylantrag in Frankreich bewegt werden. Viele haben allerdings bereits Familie und Freunde in Großbritannien. Sie glauben, dort leichter Arbeit zu finden.

Ein Wahlkampfthema für 2017

Die konservative Opposition kritisiert die Pläne des Präsidenten. Sie würden dazu führen, dass „Mini-Dschungel“ im ganzen Land entstehen. Wahlkampfrhetorik, die verschweigt, dass die Unterkünfte zwar provisorisch sind, aber in der Regel in leer stehenden Gebäuden eingerichtet werden - kein Vergleich zu dem Slum von Calais.

Mehrere Hilfsorganisationen befürchten, dass die Regierung wieder nur auf Sicht fährt. In einem offenen Brief an Hollande schreiben sie: „Schon wieder eine kurzfristige Vision, die nichts für die Dutzenden Personen löst, die weiterhin jeden Tag in Calais eintreffen werden, für die Tausenden, die jeden Tag die Konfliktgebiete verlassen und sich auf den Weg nach Europa machen.“

Längst bestimmt das Thema den Wahlkampf vor den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2017. Während Hollande nach einem Mittelweg zwischen „Humanität und Strenge“ sucht, wie er am Montag bekräftigte, forderte Ex-Präsident Nicolas Sarkozy vor einigen Tagen in Calais systematische Grenzkontrollen, damit Frankreich nicht „von Flüchtlingen überschwemmt“ werde. Auch Hollande rief London dazu auf, „seinen Anteil an der humanitären Anstrengung“ zu leisten. Sarkozy will sogar die Neuverhandlung des bilateralen Vertrags von Le Touquet, an dem er 2003 als Innenminister selbst beteiligt war. Dieser sieht gemeinsame Kontrollen vor und verlegt die Grenze zwischen beiden Ländern nach Calais, während sich London finanziell an deren Sicherung beteiligt. Die Franzosen seien aber „nicht die Zollbeamten der Engländer“, ließ Sarkozy wissen. (mit dpa)